Dienstag, 13. Januar 2015

Mehr als Mystik

Ein kaum hörbares knacken, die Henne flattert noch ein letztes mal mit ihren Flügeln und dann ist das Leben aus ihr gewichen. Mit der Seele der Henne ist hoffentlich auch die Krankheit, die sie gerade von einer alten Indiofrau übernommen hat, gegangen. Wenn das nicht geklappt hat, wird vielleicht einer der vielen Heiligen die ringsum in den Kirchensaal aufgestellt, sind zur Rechenschaft gezogen und kurzer Hand einen Kopf kürzer gemacht. Die Indios sind nicht zimperlich mit Ihren Heiligen, wenn sie eine Bitte nicht erfüllen. Selten habe ich Mystischeres erlebt. 

Beim betreten der Kirche wurden wir von den Wärtern belehrt, dass in der Kirche das Fotografieren strengstens verboten ist. Beinahe hätte ich wieder umgedreht mit dem Gedanken „die spinnen die Indios“ aber dann öffnete sich das Kirchenportal und ich stand wie versteinert, mit weit aufgerissenen Augen und konnte nicht fassen, was ich sah.
Die ganze Kirche war erleuchtet von tausenden und abertausenden Kerzen. Dicke Weihrauchschwaden waberten durch das Kirchenschiff, Kirchenbänke gab es keine, dafür war der Boden dick mit langen grünen Kiefernadel Teppich bedeckt, worauf die Indigena-Familien Andacht hielten und Cola tranken. Die Kirche war bis zum zerbersten gefüllt. Die Kirchenmusik, das Gemurmel der Indios, das Licht der Kerzen und der Weihrauch erzeugten eine Stimmung wie aus der Unterwelt. Langsam und mit äußerster Vorsicht stiegen wir hinab in die Unterwelt. Niemand schien von uns Notiz zu nehmen, auch als wir uns durch die am Boden sitzenden Familien schlängelten. Die Männer waren mit dicken schwarzen fellähnlichen  wollenen Umhängen und hellen Strohhüten bekleidet. Die Frauchen trugen das „Fell“ als Rock, welcher von einer breiten bunten Schärpe gehalten wurde. Eine bunte Bluse mit einem bauen Schal kleidete den oberen Bereich. Auf dem Kopf trugen sie bunte gefaltete Tücher. Die Kleinkinder waren mit Tüchern auf den Rücken der Frauen gebunden und die grösseren Kinder waren wie die Erwachsenen gekleidet. Die Familien sassen immer in einem Halbkreis zusammen, zündeten Kerzen an, löschten sie wieder mit Wasser, zündeten sie wieder an und beteten dabei laut. Zwischendurch machte die Cola-Flasche die Runde. Wenn die Flammen der Kerzen am Boden erlöschten schwellten die Gebete immer an. Dazwischen immer wieder laute Schreie und einige Männer füllen mit ihre großen Weihrauchkübeln das Kirchenschiff mit einem schweren Duft, der einem das Atmen schwer macht. Barbara unsere Schweizer Freundin aus Solothurn macht mich auf die Hühner aufmerksam. Während wir noch rätseln wofür die Hühner da sind, vielleicht werden sie geweiht, resümieren wir, geschieht etwas, was wir kaum glauben können. Eine der Frauen aus einer Indiogruppe betet immer lauter, wippt mit ihrem Oberkörper immer heftiger und versetzt sich in eine Trance, dann packt sie das Huhn an den Flügeln, springt auf und streift mit rhythmischen Bewegungen das Huhn über kopf und Körper einer anderen Frau. Urplötzlich hört sie auf und bricht dem Huhn, mit einer gekonnten Bewegung, den Hals. Verunsichert und gleichzeitig fasziniert drehe ich mich um, eine Bestätigung suchend, ob das sonst auch noch jemand gesehen hat. Niemand schien von dem Unglaublichen, was wir gerade erlebt haben, Notiz zu nehmen. Der Grund, rings um uns lief das gleiche Ritual ab. Der einzige Unterschied: bei dem Ritual an den Männern wurden Hähne geopfert. Ich denke mal, die katholische Kirche hat es hier nicht leicht. Bei den Heiligenfiguren ist mir aufgefallen, dass sie zum Teil arg mitgenommen aussehen. Die Nachfrage bei den Wärtern brachte die Erklärung. Die Gläubigen erbitte oft etwas von den Heiligen und wenn dann der Wunsch nicht erfüllt wird, ergeht es dem Heiligen manchmal eben nicht so gut. Die Indios sind eben nicht zimperlich mit ihren Heiligen und machmal geht es ihnen eben wie den Hühnern. Barbara und ich nehmen die Einladung zu einem großen Glas Mezcal von den Restauratoren, die in einem Seitengang gerade den Heiligen San Sebastian wieder herstellen gerne an.


Wir sind in San Juan Chamula ca. 15km nördlich von San Cristobal.


Freitag, 9. Januar 2015

Goa auf Mexikanisch, die Menschen jung, schön, nackt oder mit bunter, wehender Baumwolle bekleidet.

Playa Zipolite, 31.12.2014, 18:00 Uhr
Die Menschen, jung, schön, nackt, mit knappen Bikinis, oder mit bunter, wehender Baumwolle bekleidet, die den Strand der Bucht säumen, die links und rechts durch Felsen begrenzt ist, verabschieden die Sonne des letzten Tages in diesem Jahr mit einem überbordenden Applaus als der Feuerball im Meer versunken ist und den Horizont in warme orangene Töne verwandelt. Das Meer schimmert silbern, der Himmel ist noch blau und der Abendstern funkelt wie ein Diamant über den beiden Felsen die steil aus dem Meer ragen und die Bucht begrenzen. Der Wind legt sich schlafen und langsam schwängert sich die Luft mit dem Duft von Cannabis, verströmt von den Joints die entlang der gesamten Bucht angefacht werden. Die Party kann beginnen.

Weil es an den karibischen Stränden im Yucatan noch regnet, haben wir uns entschlossen an die Pazifik-Küste zu fahren.  Wir kamen spät an am 29.12.2014 in Porto Angel an der Playa Zipolite. Und wenn die Sonne nicht schon untergegangen wäre, wären wir weiter gefahren. Der Platz unter den Cabanas die auf Stelzen stehen, war voll mit kleinen bunten Kuppelzelten, solchen die man für 20 Euro in jedem Kaufhaus bekommt und wir fanden mit unserem Auto nur noch mühsam einen Platz für die Nacht. Eigentlich wollten wir am nächsten Tag weiter fahren aber am nächsten Morgen sah alles ganz anders aus. Die meisten Autos auf dem Platz waren verschwunden. Die Bucht war ein Traum. Feiner Sandstrand, links und rechts durch Felsformationen begrenzt. Teils mit kleinen Häusern die sich an die Felsen anschmiegen und mit Palmdächern bedeckt sind. Der Pazifik türkisblau, 28°C warm und nicht zu hohe Wellen. Der Strand wird gegen Land von bunt bemalte Holzhütten, die auf Stelzen stehen und Palmen begrenzt. Dazwischen immer wieder kleine Restaurants und Bars. Ebenfalls bunte Holzhütten und mit Palmwedel bedeckte Dächer die gestreiften Schatten für die Gäste spenden. Die „Bewohner“, jung, hübsch, sexy, voller Energie und Hormonen aber nicht ganz so international wie an den vergleichbaren Stränden in Goa. Die Mehrheit sind Mexikaner aber auch Südamerikaner aus Kolumbien und Argentinien und Kanadier vor allem aus Quebec. Nur selten trifft man auf Amerikaner und Europäer. Für unseren Camper mit unserem neuen Vordach fanden wir einen schönen Platz und damit war unsere Entscheidung weiter zu fahren revidiert. Da wir den Strand noch nicht so ausgiebig genießen konnten wie wir gerne gewollt hätten, wir waren ja noch gebleicht vom Sommer in Deutschland, haben wir es uns unter unserem neuen Schattendach gemütlich gemacht. Die Gemütlichkeit wich aber bald dem großen Erstaunen. Obwohl die schattigen Flächen unter den Hütten, die den Strand säumen schon voll von den bunten Kuppelzelten waren, kamen ständig neue junge Leute mit ihrem Rucksack und quetschten Ihr Zelt noch irgendwo dazwischen. Dutzende kamen noch an diesem Tag und am nächsten Tag noch mehr. Alle wollten bei der Silvesterfete dabei sein und das neue Jahr an dieser wunderschönen Beach begrüßen. Fasziniert beobachten wir das Schauspiel. Zwischen all den jungen Leuten, angesteckt von deren Fröhlichkeit und Unbekümmertheit tauchten alte Erinnerungen auf und wir fühlten uns 40 Jahre jünger. Das Gefühl der Zugehörigkeit wich aber abrupt einer Melancholie, bei mir mehr als bei Edda, als wir begriffen hatten,  dass wir im Grunde ja nur noch Zuschauer sind. Wie kann man schlimmer aus einem Traum in der Wirklichkeit landen als wenn dich zwei junge hübsche Mädchen, mit vielleicht 18 Jahren, begeistert nach deinem Auto und deiner Reise ausfragen, du mit eingezogenem Bauch, lässig und cool, bereitwillig alle Fragen beantwortest und sie sich zum Schluss, freundlich lächelnd mit der Bemerkung verabschieden, „wenn wir mal alt sind wollen wir das auch machen“. Wum, da springt der Bauch von alleine wieder raus. 
Ich habe mir dann eine Davidoff, die ich vom Flieger mitgebracht habe, angezündet, dann war die Welt wieder in Ordnung. Zuschauen ist ja auch ganz schön.

Silvester bis Neujahr
Langsam vermischt sich der Canabis-Duft mit dem von gebratenem Fisch, die auf den Grills der Strandrestaurants auf die Gäste warten. Wir ergattern noch einen schönen Platz in unserem Stammrestaurant und der Fisch ist frisch und lecker wie die beiden Tage zuvor. Eine kühle Flasche Sauvignon Blanc dazu und die Welt könnte schöner nicht sein.
Eine Feuerstelle nach der anderen, die den ganzen Tag zu großen Scheiterhaufen aufgetürmt wurden, wird angezündet und bald ist die ganze Buch in rotes loderndes Licht gehüllt. Die riesigen Boxen, die entlang des Strandes aufgestellt wurden brüllen unermüdlich ihr WUM WUM WUM WUM WUM..... nur gelegentlich zerrissen von einem ohrenbetäubenden Knall eines zu früh explodierenden Krachers. Während der Zeiger der Uhr unbeirrt Richtung Norden lief, füllte sich der Strand immer mehr, bis nur noch eine Welle von menschlichen Körpern, die im Rhythmus des WUM WUM WUM über den Strand gleitet. Um Mitternacht als das Gejohle verstummt, Jeder und Jede umarmt und geküsst war wurden hunderte Feuerballon angezündet und in den tiefschwarzen Himmel entlassen. Die Feuerwerker versuchten die rot glühenden Ballons mit ihren Raketen abzuschiessen, was freilich nur selten gelang. Ein faszinierendes und zugleich wunderschönes Schauspiel. Nur ein wenig getrübt von den vielen Böllern die immer in die Mengen geworfen wurden und einen immer wieder zu einem Sprung aus der Gefahrenzone nötigten.
Irgend wann wurden wir daran erinnert, dass wir keine zwanzig mehr sind und in unserem Alter auch ein wenig Schlaf nötig hätten, woran allerdings nicht zu denken war. Dafür waren die Boxen die ohne Pausen
Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum .............................
zwischendurch unterbrochen von einem 
Bum-Bum-Bum 
dann wieder 
Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum Wum ................................
brüllten, einfach zu groß und zu viele.
Schlafen wir eben Morgen dachten wir. Aber wir hatten nicht mit der Energie der jungen Leute gerechnet, die durch Kaffee, Alkohol und was es sonst noch gab unterstützt wurde. Die Feier dauerte bis in den Abend und endlich die letzten WUM WUM´s verstummten.
Selig schlafen auch wir ein.

Inzwischen sind die meisten Zelte abgebrochen, ich habe meine Hängematte im Schatten unter einer Cabana aufgespannt und während ich leicht schaukelnd diesen Bericht schreibe, segelt eine Gruppe von Pelikanen, wie Perlen auf einer Schnurr gereiht, nur wenige Zentimeter über einen Wellenkamm.


Ein gutes, erlebnis- und erfolgreiches neues Jahr Euch allen zu Hause und unterwegs.