Mittwoch, 6. April 2016

Donnerstag Nachmittag auf der Plaza Libertad in Mompos


Fernando sitzt auf auf seinem Schuhputzkasten und schlürft sinnierend seinen Tinto (süsser schwarzer Kaffee) aus einem braunen Plastikbecher, wie ihn Rosa nebenan aus einer Thermoskanne verkauft. „Hast Du Zeit, oder willst Du weiter träumen.“ fragt in Rodriges, der gerade über den Platz gelaufen kam und jetzt schräg hinter ihm steht. Fernando erkennt Rodriges an der Stimme und antwortet ohne sich umzudrehen.„Hast Du schmutzige Schuhe“
„Sonst wäre ich ja wohl kaum hier“
Fernando dreht sich langsam um und blickt zuerst auf die Schuhe.
„Die haben´s nötig“
„Ich war drüben auf der anderen Flußseite und habe meinen Neffen besucht. Du kennst ihn doch, der mit seiner behinderten Tochter“
„Ja natürlich, wie geht es ihm und seiner Familie“
„Ganz gut, er arbeitet jetzt im Fluß und schöpft Sand. Er verdient ganz gut dabei, jetzt wo so viel renoviert wird in der Stadt“
„Ja, überall wird gebaut. Komm setz Dich“
Fernando zeigt auf die freie Ecke seiner Bank. Wir sitzen im Schatten eines gelbblühenden Baumes auf einer Parkbank neben der Parkbank von Fernando, die er für seinen Arbeitsplatz in Beschlag genommen hat.  Unsere Parkbank ist der Arbeitsplatz von Schuhputzer Guillemero, der hat aber im Moment nichts zu tun und spielt mit seinem Smartphone. Er hat auch nichts dagegen, dass wir „sein Wartezimmer“ belegen.
„Stell Dein Fuß auf den Kasten, - Oh echte Lederschnürstiefel von Bramha. Die besten kolumbianischen Schuhe, bestes Leder und die Sohlen handvernäht“
„Ja, das sind meine besten Schuhe, die habe ich schon 4 Jahre“
„Wenn ich mit denen fertig bin, sind sie wieder wie neu“ sagt Fernando und befreit die Schuhe mit einer harten Bürste vom angetrockneten Flußschlamm. Zuerst den Rechten dann den Linken.
Im Gegensatz zu Guillemero, der selbst tadellos geputzte schwarze Halbschuhe trägt, stecken Fernando´s breite Quadratlatschen in blauen Gummilatschen. Bei der Höllenhitze hier, 36 Grad aber gefühlt deutlich über 40 Grad, können wir Fernando verstehen, auch wenn seine Käsemauken mit der dicken Hornhaut voller Risse und gespaltenen Zehennägeln kein schöner Anblick sind. Während ich Fernando beobachte wie er gekonnt die braune Schuhwichse mit seinen Fingern aufträgt und die aufkommende frische Brise geniesse, stupft mich Edda und zeigt auf die große Holztafel, die voll hängt mit bunten Smartphone Cases, und vom Wind nach vorne zu kippen droht. Im letzten Moment, blickt der junge Mann mit seinen bunten Haaren von seinem Smartphone auf und mit einer blitzschnellen Handbewegung verhindert er die Katastrophe. Er hat eine Parkbank uns gegenüber am anderen Rand der Plaza für seinen Verkaufsstand einverleibt. Auf einem kleinen Tisch vor seiner Parkbank repariert er Smartphone´s und verkauft Telefonkarten von Claro und eben die besagten bunten Cases. Fernando ist nicht nur Schuhputzer, er repariert auch Schuhe. Seine Parkbank, quasi seine Werkstatt und sein Behandlungsraum ist bedeckt mit Schuhen, die darauf warten wieder zum Laufen gebracht zu werden. Aus einem großen Plastiksack vor der Bank schauen ebenfalls Schuhe heraus. Auf dem Boden liegen diverse Werkzeuge und Reperaturmaterialien wie Feile, Stichel, Messer, Hammer, Zange, Kleber, Fadenrollen, Farbfläschen und weiteren Plastiktüten mit undefiniertem Inhalt verstreut. Edda besorgt uns an dem bunten Jugo-Stand der Ecke links von uns einen frischen Früchteshake. Ich möchte Papaya, Edda entscheidet sich für Orangen. Die Papayastücke kommen in ein Mixglas, dazu eine ganze Menge Eiswürfel, ein wenig Zucker und der Mixer macht daraus einen leckeren schaumigen Shake. Eddas Orangensaft wird frisch gepresst. Sie verzichtet auf das Eis, weil sie dem Wasser für´s Eis nicht traut. Während Edda am Jugo-Stand wartet und die Polierbürste von Fernando die Schuhe von Rodriges mit einem Affenzahn umkreist, erscheint eine hübsche Frau bei Fernando´s Schuhpraxis und zieht einen Schuh mit abgebrochenem Stöckel aus einer Plastikeinkaufstasche.
„Ola Fernando“
Fernando blickt auf während seine Hände immer noch die Bürste um den Schuh von Rodriges gleiten lässt. Er kennt die Chica anscheinend sehr gut, denn strahlend sagt er
„Ola Manuela, na, hast du wieder zu wild getanzt“
Hätte Manuela keinen so dunklen Teint, hätte man vielleicht die erröteten Wangen gesehen.
„Das kommt nur, weil die Männer nicht tanzen können“ gibt sie zurück.
Beide lachen und Fernando sagt.
„Zeig mal her“
Er betrachtet den Schuh eine zeitlang und sagt
„Hast Du noch etwas zu erledigen? Ich putz nur noch die Schuhe von Rodriges fertig, dann mach ich deinen Schuh“
„Gut, dann komme ich in einer halben Stunde wieder“
Offensichtlich besitzt Manuela noch kein eigenes Handy, denn sie geht zum Handyverleiher gleich neben an, der sein Stand, ein kleiner Tisch auf dem mehrere Mobilephons liegen, gekennzeichnet mit einem roten Schild auf dem steht -100 Todos- und das bedeutet man kann für 100 Peso (3 Cent) 1 Minute telefonieren. Manuela nimmt sich vom Tisch ein Handy und setzt sich auf eine freie Parkbank. Fernando trägt inzwischen die zweite Fettschicht auf, während unter seiner Bank ein großer Leguan nach Futter sucht. Keiner ausser uns scheint sich für das Tier zu interessieren. Inzwischen hat auch Guillemero wieder Kundschaft bekommen. Einer der Motorradtaxifahrer, die zu dutzend neben der Plaza auf Kundschaft warten, lässt sich seine Schuhe putzen. Einfach für 1000 Peso. Er trägt die typische Kleidung der kolumbianischen Männer. Jeans, weites Hemd, über der Schulter hängt lässig ein heller Schal der als Schweißtuch dient, dazu den typischen kolumbianischen Strohhut, breite Krempe, hell-dunkel gestreift und die Wayuuu Mochila (gehäkelte Beutelatsche) hängt lässig seitlich an der Hüfte, das Trageband schräg über die Brust auf der Schulter.
Fernando hat inzwischen die zweite Fettschicht aufgetragen und die Polierbürste umkreist den Schuh als wieder ein hübsches Mädchen mit einem Paar neuen Schuhen auftaucht. Sie hat die Schuhe zu klein gekauft und Fernando verspricht ihr, sie bis morgen zu weiten und legt sie zu den anderen auf die Bank, bevor er sich wieder der Polierbürste zuwendet, aber nicht ohne sich vorher nach dem Befinden der Familie zu erkunden.
Kolumbien im allgemeinen ist ja berühmt für seine schönen Frauen. Auch hier rund um die Plaza ist das deutlich zu sehen, aber die Frauen sind nicht nur wohlgeformt, hübsch und schön anzuschauen, man hat auch das Gefühl sie versprühen mehr Hormone als die Wunderkerzen Funken bei uns am Weihnachtsbaum.
Hinter uns auf der Parkmauer hat eine junge Frau ihr Büro eröffnet. Ihr Handwerkzeug besteht aus einem Telefon, einem Taschenrechner, einem Buch voller Tabellen und einem Notizblock. Alles zusammen befindet sich auf einem Brett, dass auf ihren Knien liegt und ihr als Schreibtisch dient. Über fehlende Kundschaft kann sie sich nicht beklagen. Manchmal stehen sie sogar Schlange. Die Kunden kommen mit irgendwelchen Belegen und sie rechnet ihnen etwas aus. Ein paar Meter weiter oben hat ein Grafiker sein Büro aufgebaut. Da steht ein moderner Laptop auf einem kleinen Tischchen und daneben ein Großformatdrucker. In einem Eimer stehen bunte Rollen mit Klebefolien, aus denen er Werbeschriften auf Autos etc. schneidet. Gegenüber auf der anderen Strassenseite gibt es eine Mopedwerkstatt die den Gehsteig und die halbe Strasse in die Werkstatt mit einbezieht. Guillemero ist mit den Schuhen des Motorradtaxifahrers fertig. Ein Tausender (30 Cent) wechseln den Besitzer und er entparkt sein Motorrad, richtet seine grüne Satteldecke auf dem Sitz aus, wirft seinen Schal lässig um den Hals, kickt seine Maschine an und braust davon.
Fernando trägt jetzt die dritte Schicht Fett auf, er hat Rodriges ja quasi neue Schuhe versprochen und zudem wird seine Arbeit ständig von Kunden unterbrochen, die ihre Schuhe zur Reparatur bringen. Inzwischen türmen sich die Schuhe auf der Bank. Und natürlich muss sich Fernando bei all seinen Kunden nach dem Wohlergehen der Familie erkunden, oder es gibt andere Neuigkeiten, die es Wert sind erzählt und gehört zu werden. Da Rodriges offensichtlich Zeit hat und auch ihn die Geschichten interessieren, beschwert er sich nicht, dass sich seine Schuhe nur langsam erneuern.  Rodriges sieht man, wie den meisten Leuten hier seine afrikanischen Vorfahren an. Auch er trägt eine gehäkelte Umhängetasche, der Schal hängt lässig über der rechten Schulter und der Strohhut schützt ihn vor der Sonne. Ich besorge uns an dem Stand am anderen Ende der Plaza zwei leckere Fruchtkuchen und Edda holt bei Rosa zwei Tinto. Einer con und den anderen sin Acugar.
„So, jetzt kannst du tanzen gehen, oder wieder im Schlamm herum laufen.“
„Das würde dir so passen, du Halsabschneider“ beide lachen und 3000Peso wechseln den Besitzer. Stolz trabt Rodriges von dannen. Fernando gönnt sich einen weiteren Tinto, der ihm die kleine Nerys, die auf den Schmuckstand ihrer Mutter aufpasst, von Rosa gebracht hat. Da keine neuen Schuhe zu putzen sind macht er sich an die Reparaturarbeiten. In aller Ruhe schaut er sich die Fossilien an, gelegentlich nimmt er seine Zange und reist damit die Sohle runter. Auf einmal fällt ihm der abgebrochene Stöckel von Manuela ein. Er kramt ihn von unten hervor. Während er ihn betrachtet, kratzt er sich am Kopf und lächelt. Manuela steht plötzlich neben ihm und reisst ihn aus seinem Traum. Mit einem Schmollmund sagt sie „Du hast mein Schuh ja noch gar nicht gemacht“ Ein wenig verlegen zeigt er auf die vielen Schuhe auf seiner Bank.
„Hast du nicht noch was zu tun“
Immer noch mit einem Schmollmund
„Nein“
Sie schiebt die Schuhe zur Seite und setzt sich auf seine Bank. Aller Groll ist verflogen und sie beobachtet plappernd wie er ihren Schuh mit Feile, Kleber und Hammer bearbeitet.
Für uns wird es Zeit zu gehen, „unsere Kinder“ warten sicher schon auf uns. Ein interessanter  und entspannter Nachmittag. Eine Parkbank ist halt aufschlußreicher als ein Museumsbesuch.
Auf dem Heimweg grüßt uns eine alte Frau die unter ihrer Eingangstüre steht., als wir zurück grüßen, lädt sie uns ein, ihr Haus zu besichtigen und erzählt uns ihre Geschichte. Leider haben wir nicht alles verstanden, schade, den mit ihren 98 Jahren, die sie in Mompos verbrachte, hat sie sicher einiges erlebt. Mompos ist übrigens Weltkulturerbe und im Internet gibt es viel darüber zu lesen.
Als wir „nach Hause kommen“, wir campieren im Garten eines Fortbildungs- und Sportzentrums, warten unsere Kids,  Valentina und Hector schon auf uns. Sie fragen nicht, aber als ich Valentina einen Geldschein in die Hand drücke, spurtet sie sofort los. Kurz bevor sie das Tor erreicht, stoppt sie, dreht sich um und fragt „ Edda quiere también uno“  (will Edda auch eins). Edda schüttelt den Kopf und schon ist sie um die Ecke verschwunden. Es dauert keine 2 Minuten bis sie mit drei Eis und dem Wechselgeld wieder da ist.
Gemeinsam schlotzen wir das Eis und lernen von den Kleinen spanisch.

Mompos, Weltkulturerbe


























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