Freitag, 6. Februar 2015

Über Nacht haben sie uns die Schienen geklaut.

20 Mann mit mit Spitzhacken und Brecheisen bewaffnet, huschen leicht gebückt im Schutz der Dunkelheit früh Morgens um 3 Uhr, wo sie sicher sein können, das alles schläft, von Cuzama kommend, entlang der Schmalspurschienen Richtung der Sisal-Hacienda . Einen Kilometer vor der Hacienda machen sie halt. Die Befehle werden leise, kaum hörbar gegeben, aber jeder der Männer weiß was er zu tun hat. Sie arbeiten leise und konzentriert und nach einer Stunde haben sie einen Kilometer der Gleise abgebaut und abtransportiert. Zufrieden mit ihrem Nachtwerk machen sie sich so leise wie sie gekommen waren auf den Heimweg. Am liebsten hätten sie natürlich laut eine Siegesmelodie aus der Revolutionszeit gesungen.
Dem großen Palaver, von dem wir schon früh morgens geweckt wurden folgt Hilflosigkeit und eine tiefe Resignation. Von der emsigen Betriebsamkeit, die gestern herrschte als wir auf der Hacienda ankamen, fehlt jetzt, während wir beim Frühstück sitzen, jede Spur. Keine Pferde, die unruhig und wiehernd an ihren Zügeln zerren, kein Wagengequietsche, keine Wagenführer die lauthals ihre Dienste anboten. Nur hängende Gesichter und Resignation. Es ist offensichtlich, dass sie das Ungeheuerliche entdeckt haben und nach der ersten Aufgeregtheit nicht wissen, was sie jetzt tun sollen. Nach unserem Frühstück erkundigen wir uns bei den Männern was passiert ist. Gott sei dank haben wir Barbara bei uns, denn sie spricht ganz passabel spanisch, so dass wir erfahren was los ist. „Die Leute aus der Nachbargemeine haben uns über Nacht die Schienen geklaut“ erzählt Fernando, ein rundlicher älterer Herr mit tief gefurchtem, runden Mayagesicht. „Das ist doch Diebstahl“, „die können doch nicht...“ , „so eine Sauerei“, jeder von uns gibt seine Kommentare ab, so gut wir es halt in spanisch können. Aufgestachelt durch unsere Anteilnahme beginnt das lautstarke Palaver von neuem und Fernando schwingt sich zum Wortführer auf. „Sogar die Gringos sagen: das ist gemein, die sind Banditen....“ „Ja genau, die Gringos sind extra zu uns gekommen und jetzt können sie nicht mit uns zu den Cenoten fahren, dass können wir uns nicht gefallen lassen!“ ruft der junge Carlos rebellisch dazwischen. Wir, das sind unsere Schweizer Freunde aus Solothurn Barbara und Urs, mit denen wir schon seit ein paar Wochen zusammen fahren, Edda, ich und einige junge Amerikaner. Wir setzen uns ein wenig abseits und verfolgen gespannt den Aufstand. Und die Mexikaner wären keine Mexikaner wenn sie sich ein Geschäft entgehen lassen würden. Nach 10-15 Minuten war wohl klar wie mit den Frevlern, die die Schienen geklaut haben verfahren werden soll. Einfach ignorieren und eine Abordnung nach Merida schicken, die sich in der Hauptstadt über die Sauerei beschwert. Während sich die Abordnung für den Aufbruch zurecht macht werden einige Wagen auf die Schienen gehievt, die Holzlager der Achsen mit Altöl geschmiert, die Pferde vorgespannt und wir können zu viert in den kleinen Wagen steigen. Unser Führer schnalzt mit der Zunge und seine La Paloma galoppiert los. In einem Affenzahn holpern wir über die hundert Jahre alten Schienen. La Paloma rennt als ob sie verfolgt wird, was irgendwie auch stimmt. Uns folgen zwei junge Mexikaner mit ihren klapprigen Fahrrädern. Nach einem Kilometer stoppt unser Gespann. Die Schienen sind zu Ende, rausgerissen! Unser Wagenführer sagt, wir sollen zu Fuss weiter gehen. Als wir etwas ungläubig schauen, erklärt er uns, dass wir nur einen Kilometer gehen müssen. Er kommt dann mit dem Wagen nach. Jetzt sehen wir auch weshalb wir von den beiden Radfahrern verfolgt wurden. Gemeinsam mit La Paloma zerren und schieben sie den Wagen über das schienenlose Gelände. Nach 10 Minuten sind die Schienen wieder da und unsere Holperfahrt geht weiter. Angetrieben durch das ständige schnalzen unseres Wagenführers bleibt La Paloma im Galopp. Immer wieder rasen wir auf scharfe Kurven zu und mit einem Ohrenbetäubenden gequietsche reisst uns La Paloma um die Kurve. Immer wieder müssen Weichen gestellt werden, obwohl 100 Jahre alt, funktionieren sie noch. Zum Glück haben wir zwei Eisenbahnspezialisten mit an Bord. Barbara und Urs, beide Manager der Schweizer SBB. Sie beruhigen uns bezüglich des Schienennetzes. „Das sei noch ganz in Ordnung“ gibt Urs trocken von sich. Warum er sich aber strikt weigert in Fahrtrichtung zu sitzen, damit er die Gleise sehen kann, spricht Bände. Was uns, Edda und mich aber eher beunruhigt ist La Paloma. Edda weil sie Pferde kennt und weiß, dass die machmal komische Sachen machen, sie ist ja lange geritten und mich weil ich sowieso denke das Pferde mit ihrem kleinen Gehirn viel zu groß und zu stark sind. Ich habe auch einen Beweis dafür, dass das Verhältnis zwischen Gehirngrösse und Kraft nicht stimmt. Wir hatten einmal die blöde Idee mit Pferden und Planwagen durch die USA zu reisen. Von der Ostküste zur Westküste, so wie die Pioniere damals. Natürlich war ich nicht so blauäugig um zu glauben, dass könnte ich schon, obwohl... lassen wir das. Edda hat mich auf jeden Fall davon überzeugt, mit Ihr einen Kutschenkurs zu machen. Wochenlang mussten wir trocken üben. Unser Küchenstuhl war mein Pferd. Über der Stuhllehne hingen die Zügel mit zwei Gewichten und am anderen Ende war der Kutscher, ich. Die Aufgabe bestand darin, die Zügel anzuziehen und wieder los zu lassen und dabei peinlichst darauf zu achten, dass die beiden Gewichte immer auf gleicher Höhe blieben. Ich muss zugeben, dass war gar nicht so einfach wie ich dachte. Aber das lag vor allem daran, weil man die Zügel mit so komischen Griffen halten musste. Sepp, unser Kutschenlehrer bestand aber strikt darauf, dass wir unsere Hände genau so komisch verdrehen und verbiegen, wie er es uns gezeigt hatte. Aber nach einer Woche hatte ich den Dreh raus und ich war bereit für die erste Ausfahrt mit einem richtigen Pferd. Schliesslich bin ich als Kind ja auch schon mal auf einem Pferd geritten. Der blöde Gaul hat mich damals zwar abgeworfen aber meine Erfahrung mit Pferden konnte mir keiner mehr nehmen. Vor allem war für mich klar, so ein kleines Gehirn in so einem großen Tier ist gefährlich. Seither halte ich immer einen gewissen Abstand zu den Viechern und damit bin ich bis jetzt ganz gut gefahren und immerhin schon über 60 geworden. Apropos fahren, also ich fühlte mich bereit für die erste Ausfahrt, aber Sepp war da ganz anderer Meinung und ich musste den ganzen Sommer trocken weiter üben. Inzwischen war der Hopfen schon hochgewachsen. Aus lauter Verzweiflung habe ich meinem Stuhl schon einen Namen gegeben. Fury konnte mittlerweile traben, galoppieren, rückwärts laufen und wenn ich wollte auch im Kreis gehen. Alles war perfekt und eines Sonntags, die Hopfen hatten schon Dolden gebildet, war es dann so weit. Clara, nicht Fury wurde vor die Kutsche gespannt und ich durfte auf den Bock. Meinen Parkur, den mir Sepp erklärt hat konnte ich mir gut merken. Den Weg runter, mitten durch den Hopfengarten, dann links und am Rand vom Hopfengarten wieder zurück. Alles ganz easy. Sepp und Edda blieben zurück und wollten meine Fahrkünste von der Ferne aus beobachten. Hü, ein kurzer Schüttler am Zügel und Clara lief los. Schon zu Anfang bemerkte ich, dass Clara ein wenig Mühe hatte geradeaus zu laufen und ich ihr ein wenig helfen muss. In kleinen Schlangenlinien treffen wir dann doch den Eingang zum Hopfengarten. Geschafft. Jetzt kann ich ein wenig mehr Gas geben, weil der Weg jetzt ja für Clara klar ist. Hü, hü, kräftig mit dem Zügel schütteln und Clara trabt los. Irgendetwas stimmt aber nicht mit Clara. Das mit den Schlangenlinien wird immer schlimmer. Während ich noch überlege, ob das an ihrem kleinen Gehirn liegt, triftet sie immer mehr nach rechts ab und ich bekomme Angst, dass sie vom Weg abkommt und eine Hopfenranke herunter reisst. Gerade noch rechtzeitig reisse ich am linken Zügel und wir schrappen haarscharf an einer Ranke vorbei und Clara ist wieder Richtung Fahrweg unterwegs. Ich drehe mich um, um von Sepp ein Lob zu erhaschen, dafür wie gut ich die Situation gemeistert habe. Aber der fuchtelt nur mit den Händen und brüllt etwas, was ich aber nicht verstehe. Als ich wieder nach vorne schaue, hat Clara den Weg schon beinahe überquert und ist auf dem Weg mitten in den Hopfengarten. Noch bevor ich reagieren kann liegt schon der erste Ranken am Boden. Ich will Clara wieder auf den Weg zurück bringen aber aus lauter Aufregung ziehe ich zuerst am falschen Zügel und so muss ich noch einen größeren Bogen durch den Hopfengarten fahren bis wir wieder auf dem Weg sind. Aber Clara hatnichts gelernt aus dem ganzen Chaos, dass sie angerichtet hat. Sie ist schon wieder auf dem Weg in die andere Seite des Hopfengarten. Ich ziehe wie verrückt an beiden Zügeln und gerade noch rechtzeitig bringe ich Clara dazu zu halten, bevor man sich die Hopfenernte auch auf der rechten Seite hätte sparen können. Sepp kommt angerannt und ist ganz sprachlos über die Schneise die Clara und ich hinterlassen haben. „Was hast Du den vorhin geschrien“ frage ich ihn. „Du Idiot“ schreit er genau so laut wie vorhin, obwohl ich jetzt ganz nahe bei ihm stehe und ihn gut verstehen kann. „Da fragt man sich, wer hier der Idiot ist, wenn Du mir ein Ross gibst, dass nicht mal gerade aus laufen kann.“ Darauf fiel Sepp nichts mehr ein und er war ruhig. Das mit dem Planwagen haben wir dann gelassen. War eh eine blöde Idee. Ich glaube, jetzt bin ich ein wenig abgeschweift. In der Schule würde das wieder einen Fünfer geben, mit der Bemerkung „Thema verfehlt!!!!!!!“. Vielleicht kann ich ja noch einen Vierer daraus machen, wenn ich das richtige Thema wieder aufgreife. Vielleicht wollt Ihr ja noch wissen, weshalb wir uns um Gottes Willen, in so ein Abenteuer stürzten. Edda hat mir später gebeichtet, dass das für sie bisher der gefährlichste Teil unserer Reise war. Wir befinden uns in einem Gebiet wo sie früher das grüne Gold geerntet haben aus dem dann Sisal gemacht wurde. In dem Wagen, in dem wir sitzen und von La Paloma gezogen, über die holprigen Gleise fliegen, wurde früher die Algaven transportiert aus denen dann das Sisal gemacht wurde. Aber der Grund warum wir so halsbrecherisch über die Gleise jagen sind die Cenoten. Das sind heiße Löcher mit Wasser drin. Na ja, es sind schöne heisse Tropfsteinhöhlen mit türkisblauem Wasser in dem man schön baden kann und die halsbrecherische Fahrt auf jeden Fall wert ist. Auf dem Rückweg habe ich mich dann auf den Bock neben unserem Kutscher gesetzt. Von dort hatte ich La Paloma besser unter Kontrolle, was auch Edda ein wenig beruhigt hat.









—-- Artikel wurde von Helmut Tanner erstellt

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