Montag, 13. April 2015

Folge der Schlang wenn Du einen Ausweg suchst. Ostern in Antigua

Im letzten Moment zieht die Mutter des kleinen Jungen neben Edda die lila Kutte über sein Messi Trikot. Seine kleine Schwester beginnt zu weinen, weil sie auch so eine schöne Kutte wie ihr Bruder haben möchte. Ich weiss nicht, was die Mutter dem Mädchen versprechen musste damit sie wieder aufhörte zu weinen. Dass sie später eine Kutte bekommt ganz sicher nicht, denn die ist nur den Männern vorbehalten. Das wusste die Kleine, so klein sie auch war, ganz sicher. Dem zornigen - trotzigen - frechen und dann triumphierenden Gesichtsausdruck nach zu urteilen hat sie ihrer Mutter mindestens das Versprechen auf eine der bunten noch von Hand geschleuderten Zuckerwatte abgetrotzt.  Für mehr war nicht Zeit, den die Prozession erfordert nun alle Aufmerksamkeit. Begleitet von einem schweren Trauermarsch schwankt die tonnenschwere Plattform auf der eine riesige Jesus Statue, wie er das Kreuz trägt, steht durch den engen Spalier der Zuschauer. Getragen von 100 Männern in lila Kutten die scheinbar achtlos über die in vielen Stunden hergestellten Blumenteppiche schreiten und eine Verwüstung hinterlassen.

Seit beinahe drei Wochen wohnen wir in Antigua (Guatemala) und drücken die Schulbank um spanisch zu lernen. Antigua ist für zwei Dinge berühmt und bekannt. Zum einen, für die vielen Spanischschulen von denen Schüler aus der ganzen Welt angezogen werden und zum anderen, für die Leidenschaft mit der sie Ostern bzw. den Leidensweg Christi feiern. Leidenschaft ist vielleicht nicht das richtige Wort, Inbrunst ist treffender. Ostern beginnt in Antigua Guatemala zum Beginn der Fastenzeit. Jeden Sonntag verwandelt sich die sonst sehr beschauliche und liebenswerte Kolonialstadt in einen violetten und qualmenden Hexenkessel mit bunten Strassenteppichen aus Pflanzen, Gräsern, Blumen, Früchten, Gemüsen und bunt gefärbtem Sägemehl. Früh Morgens, oft noch bei Dunkelheit beginnen die Leute mit ihren flüchtigen Kunstwerken. Sie zaubern in stundenlanger Arbeit und mit beachtlichem finanziellem Aufwand, wunderschöne Teppiche auf die Strassen, die wenig später in Minuten wieder zerstört sind.

Jeden Sonntag in der Fastenzeit findet eine Prozession statt und in der Osterwoche gibt es täglich ein oder zwei, bis dann am Karfreitag die ganze Stadt nur noch aus Prozessionen zu bestehen scheint. So eine Prozession fängt an einem Stadtende an, verläuft nach einem genauen Plan quer durch die Stadt zum anderen Ende und wieder auf einem anderen Weg zurück. Das dauert dann mindesten 12 Stunden, meistens aber länger. Zuerst kommt eine römische Legion, die die Strassen vom „Pöbel“ befreit und Platz für die Prozession schafft. Dann kommen die tausenden von Trägern in ihren lila Kutten. Die Träger wechseln alle 50m. Es ist eine große Ehre Jesus zu tragen und mit ihm zu leiden. Die 50 Quezales (6€) die jeder Träger dafür bezahlen muss, werden so glaube ich gerne bezahlt. Viele der lila Träger schwenken heftig ihren Weihrauchkessel, so dass man immer wieder das Gefühl hat ein Großbrand wäre ausgebrochen. Die Teppiche werden von Prozession zu Prozession mehr, bis schliesslich am Karfreitag die ganze Stadt „beteppicht“ scheint. Aber den Strassen Teppichen ist nur ein sehr kurzes Leben vorbestimmt. Innerhalb von Minuten, wenn die Prozession darüber ist, ist aus dem sakralen Kunstwerk ein abstraktes Gemälde geworden, aber auch das hält nicht lange, denn nachdem der letzte Musiker der Prozession darüber gelaufen ist, folgen die ganzen Strassenhändler mit ihrem bunten Krimskrams und dann kommt auch schon die Putzkolonne. Ein Lastwagen gefolgt von einem Schaufelradlader, dessen Schaufel von einer Kolonne Strassenkehrern mit dem abstrakten Gemälde, bzw. mit dem Matsch des Gemüses und der Früchte gefüllt wir. Der wiederum kippt es auf den Laster. Noch ein paar mal mit dem Besen darüber und die Strasse ist wieder bereit für die nächste Prozession.

Jeden Sontag wird die Stadt von Besuchern überrannt, bis am Karfreitag jede Strasse und jeder Platz von Besuchern aus der ganzen Welt überfüllt ist. Die Menschenmassen sind unglaublich. Und natürlich locken solche Massen auch Geschäftemacher und Strassenhändler jeglicher Couleur an. Die Strassen, die nicht von der Prozession und den Menschenmassen verstopft sind, sind von Autos verstopft. Wenn´s nicht mehr weiter geht lässt man sein Auto einfach stehen. Trotz den ganzen Menschenmassen, durchwandert von den Strassenhändlern die ständig unterwegs sind oder am Strassenrand hockend lautstark ihre Ware anbieten und den kreuz und quer parkenden Autos, ist keine Polizei notwendig, die für Ordnung sorgt. Alles bewegt sich langsam und friedlich. Aber wie entkommt man, wenn man vom Bad in der Menge genug hat und man praktisch bewegungsunfähig in einer riesigen Menschenmenge am Park Zentral eingeklemmt ist. Im Grunde ist das ganz einfach. Folge der Schlange. Zuerst denkt man „mann da komme ich nie mehr raus“ und bekommt schon beinahe eine Panik. Aber jetzt heißt es Ruhe zu wahren und sich um zu sehen bis man sie entdeckt, die Schlange. Da tue ich mir ein wenig leichter als die Guatemalteken, die im Schnitt einen Kopf kleiner sind als ich. Vielleicht haben sie dafür einen besseren Spürsinn. Wenn man die Schlange entdeckt hat, drückt man sich langsam und ganz ruhig zur Schlange durch und wird dabei selbst zur Schlange oder besser zum Schlangenkopf. Bei der großen Schlange angekommen fädelt man nach dem Reißverschlussprinzip ein und folgt der großen Schlange auf ihren unerfindlichen Wegen nach draußen. Haben wir öfter getestet und es funktionierte immer. 
Am Karfreitag ist für die Antiguaner Ostern dann irgendwie auch vorbei. Die Auferstehung am Sonntag wird nicht mehr so gefeiert. Alles ist ruhig und die Stadt wirkt wie ausgestorben.
Wir nutzen die freien Strassen um abzureisen.
Frohe Ostern



Bilder zu Ostern in Antigua