Sonntag, 24. Juli 2016

Der schlafende Grenzer


Die letzten zwei Wochen waren aufregend und spannend und ich bin froh, dass wir jetzt einige Tage Ruhe haben um das Erlebte sacken zu lassen. 
Zuerst stehen wir ein wenig ratlos da. Der dicke Grenzbeamte an dem kleinen Grenzübergang in den Bergen zwischen Ecuador und Peru, sitzt schnarchend auf seinem Bürostuhl und macht Siesta. Wir sind unschlüssig, ob wir ihn wecken sollen, zumal wir für diese Grenze nicht die richtigen Papiere hatten. Die falschen Papiere und ein genervter Grenzbeamte, dass kann fatale Folgen haben. Zurück konnten wir nicht, weil die Ausreise aus Ecuador auch nicht ganz koscher verlief und wir uns nicht ganz sicher waren, ob wir auch wirklich ausgereist sind. Zudem wollten wir die Piste, die wir gekommen sind auch nicht mehr zurück fahren. Wir kamen von Vilcabamba, aus dem Tal der Hundertjährigen. Auf dem Weg zur Tankstelle, wir wollten für 26Cent/Liter noch mal alles voll machen, hören wir ein Schleifgeräusch von den Vorderrädern. In dem kleinen Ort gibt es eine Werkstatt, die wir ansteuern. Die Bremsbeläge sind runter, obwohl wir sie erst vor 10.000km gewechselt haben. Die Anden fressen sie förmlich auf. Der Werkstattbesitzer hatte ein großes, dickes Buch mit optischer Vergleichstabelle. Unsere Original Bremsklötze wurden so lange auf ähnliche Bilder gelegt, bis eines genau übereinstimmte. Mit dem Handy bestellte er die Teile und zwei Stunden später wurden sie mit einem Taxi von der 50km entfernten Hauptstadt Loja gebracht. 10 Minuten später waren sie eingebaut und 52 Dollar wechselten den Besitzer. Für uns war es aber zu spät, um an diesem Tag noch über die Grenze zu fahren und wir übernachteten noch einmal bei den Hundertjährigen.
Die ersten 50km war die Strasse noch größtenteils asphaltiert, wurde dann aber zusehends schmaler und schlechter. Immer wieder hatten wir mit unserer Bodenfreiheit zu kämpfen. An einer mehrere hundert Meter langen Schlammstrecke, aus zähem halbflüssigem Lehm, 20 bis 40cm tief, dachten wir hier ist es zu Ende. Erschwerend kam noch hinzu, dass es bergauf ging.
Zwei Overlander, ein Australier und ein Amerikaner mit schwerbepackten BMW´s wagten die Durchfahrt als erste. Zuerst fuhr der Australier mit einer riesigen Schlammfontäne hinter sich, fräste und  schlitterte er durch den Matsch. Mehrere male sahen wir ihn schon im Morast liegen, aber er kam durch. Der Amerikaner angestachelt von der Leistung seines Freundes, lies seinen Feuerstuhl aufheulen und das gleiche faszinierende Schauspiel wiederholte sich. An der tiefsten Stelle fand er ein jähes Ende. Seine Maschine brach hinten aus und er landete breitlings im Schlick. Er und seine Maschine waren kaum noch zu sehen. Als er sich wieder aufrappelte glich er eher eines aus der tiefe auftauchenden Moorgespenst als einem stolzen BMW-Fahrer. Fluchend hievt er seinen schweren Feuerstuhl hoch, drückt den Starterknopf und die BMW springt ohne murren an. Mit eigener Kraft kann er sich aus dem Schlamm befreien. Das Taxi vor uns, der Fahrer hat das Schauspiel auch beobachtete, drehte wieder um. Als nächstes waren wir dran. Ich wartete noch den LKW ab der entgegen kam und die Schlammrutsche querte. Ich beobachtete ganz genau, welche Route er wählte. An seinen Rädern konnte ich die Schlammtiefe und die Festigkeit des Untergrund erahnen. Im ersten Gang und einer Drehzahl von 2500U/Minute fräste ich durch das Ungemach. Ich folgte so gut es ging den Spuren des LKW´s. Nach nicht mal 100m waren sie aber verschwunden und ich musste mir meinen eigenen Weg suchen. Die Nerven sind vor lauter Konzentration bis zum zerreissen angespannt und ich scanne die braune Morastbrühe nach einem festen Untergrund ab. Vergeblich, es ist unmöglich in dem Schlick die Festigkeit des Untergrundes auszumachen. In Schlangenlinien steuere ich den Hiace durch den Schlamm und achte darauf, dass die Drehzahl nicht absinkt. Wir schieben schon eine gefährliche Drecklawine vor uns her.  Edda ist in solchen Situationen immer mucksmäuschenstill. Nur noch hundert Meter, dann sind wir durch. Wie aus heiterem Himmel sacken wir rechts vorne weg und verlieren den Grund. Jetzt nur keine Panik. Drehzahl konstant halten und nicht zu scharf nach links ziehen. Es klappt. Langsam gräbt sich der Hiace wieder aus dem Schlammloch aus und klettert über eine Querrille. Wir sitzen zwar auf der Mitte hart auf, aber das sind wir gewohnt und wir sind durch. Ich bin immer wieder überrascht, wie gut der Allrad unseres Autos funktioniert. 
Noch einige Stunden durch enge Staubpisten kurbeln und wir sind an der Grenze bei unserem schnarchenden Grenzbeamten.
Wecken, oder nicht wecken. Wir entschieden uns fürs wecken. Allerdings fiel Edda die Aufgabe zu, weil wir dachten, der will lieber von einer ihn anlachenden Frau geweckt werden als von mir rüde wach gerüttelt zu werden. So war es dann auch. Er öffnete die Augen und lachte zurück. Wie sich heraus stellte war José ein ganz lieber Mensch. Ein wenig arbeitsscheu vielleicht. Da inzwischen auch unserer Motorradfreunde eingetroffen sind hat José schon ein wenig gejammert, weil er drei Fahrzeuge an einem Tag abfertigen muß. Aber im Moment kann er leider nichts für uns tun. Zuerst müssen wir als Person einreisen und der zuständige Emigrationsbeamte ist bei seiner ausgedehnten Mittagspause, die bis drei Uhr dauert. Frisch gestärkt kommt er pünktlich zurück und wir haben ruck zuck unsere Einreisestempel im Pass. Mit unseren frischen Stempeln im Pass marschieren wir zu José. Der ist inzwischen ganz aufgewacht und singt lauthals eine Schnulze vom Radio mit. Der arme José klagt über Schmerzen in der Schulter und am Rücken vom vielen sitzen und der vielen Arbeit. Ich habe noch ein Wärmepflaster von meiner letzten Verspannung, von der vielen Arbeit und vom vielen sitzen. Das verpassen wir ihm. Ganz glücklich macht er sich an die Arbeit. Aber die Arbeit mit dem Computer macht ihm wirklich zu schaffen. Die vielen Tasten, bis man da die immer die richtige gefunden hat, das dauert. Und alles auf ausländisch. Gerne nimmt er das Angebot von Edda an, die richtigen Wörter und Zahlen einzutippen. Froh über die Hilfe begleitet er wieder singend sein Radio. Und da ihm das Wärmepflaster schon Linderung bringt, tanzt er auf seinem Stuhl schon wieder einwenig mit. Als Edda mit der Arbeit fertig ist, haben wir in Peru unseren ersten Freund gewonnen. 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen