Samstag, 5. Oktober 2013

Eine alte Schuld begleichen


Eigentlich wollten wir dieses mal nicht in den Yellowstone Park fahren. Zum einen weil wir scheußliches Wetter haben und zum anderen weil es noch viel neues in den USA zu entdecken gibt. Aber wir hatten eine alte Schuld zu begleichen. Eigentlich ist die Schuld schon über 30 Jahre alt und sicher schon verjährt, aber die Moral.
Wir waren jung, hatten wenig Geld, waren schmutzig, weil wir schon zwei Wochen nicht geduscht haben, durch Bären verängstigt, -aber das ist eine ganz andere Geschichte- und es war eiskalt. Wir kamen von einer Wanderung bei Eis und Schnee im Backcountry zurück und da gab es dieses sündteure Hotel Old Faithfull Inn. An eine Übernachtung war nicht zu denken, aber einen Kaffee konnten wir uns leisten. Obwohl wir fest damit rechneten, dass wir so wie wir aussahen sofort wieder raus geworfen werden, hat sich kein Mensch nach uns umgedreht. Der Livrierte hat uns sogar die Türe auf gehalten. Da standen wir mitten in der aus Naturbalken gebauten rustikalen riesigen Halle. Es war muckelig warm und in der Mitte loderte ein großes Feuer in dem überdimensionierten Kamin um den bequeme Ledersessel standen. Die meisten Sessel waren leer. Obwohl wir noch aufgewühlt waren und immer noch jeden Moment damit rechneten, dass uns jemand am Schlafittchen packt und uns nach draußen befördert, sind wir, so normal es uns möglich war, zu zwei freien Sesseln nah am Feuer und nahmen Platz als ob wir hier her gehören. Wir haben locker miteinander geplaudert. So locker wie es halt ging. Auf einmal kam so ein dunkel gekleideter Herr auf uns zu. Ah, jetzt ist es soweit dachten wir. Er blieb einen Meter vor uns stehen und fragte was wir wollen. „Am warmen Feuer sitzen und eine heisse Dusche“ dachte ich. Gesagt habe ich „einen Kaffee bitte“ „with cream and sugar“ fragte er. Ich brachte vor lauter Nervosität kein Wort mehr raus und konnte nur noch mit dem Kopf nicken. Kurz darauf standen zwei dampfende Kaffee´s auf unserem Beistelltisch. Nachdem der Ober unsere Kaffeetassen mehrmals nachgefüllt hatte, der übrigens nicht mal was gekostet hat, hatten wir einen Plan ausgearbeitet wie wir vielleicht doch noch zu einer heissen Dusche kommen. Links und rechts gab es Gänge die offensichtlich zu den Zimmern führten. Und da man uns, wie wir jetzt fest überzeugt waren, für Gäste des Hotels hielt, würde es sicher nicht auffallen wenn wir in einem der Gänge zu den Zimmern verschwanden. Zur Sicherheit wollten wir das im ersten Stock machen. Einmal im Flur der Hotelzimmer, hofften wir einem Zimmermädchen zu begegnen die uns für ein kleines Trinkgeld in einem der Zimmer duschen lies.
 Nach einer weiteren halben Stunde hatten wir durch die Wärme und den heissen Kaffee so viel Mut gesammelt, dass wir bereit waren unseren Plan in die Tat umzusetzen.  Wir sind also, als ob es das normalste auf der Welt wäre von unseren bequemen Sesseln aufgestanden und sind zu der offenen Treppe in den ersten Stock gegangen. Niemand kam uns hinterher gelaufen und wollte wissen wohin wir gehen. Oben angekommen haben wir sofort den rechten Flur angesteuert. Die Zimmer begannen bei 201. Kein Zimmermädchen weit und breit. Auch sonst war niemand in dem langen Flur unterwegs. Wir wagten uns immer tiefer hinein. Auf dem weichen Teppichboden konnte man die  harten Tritte von unseren Bergstiefeln nicht hören. Wir folgten dem Gang der nach links abbog. Immer noch kein Zimmermädchen zu entdecken. Wir standen etwas ratlos vor dem Zimmer 218. Inzwischen hatte auch unser Mut schon wieder etwas nachgelassen und wir waren schon nahe dran wieder zurück zu gehen, da habe ich ohne genau zu wissen weshalb, an den Türknopf von Zimmer 218 gefasst, gedreht und die Türe ging auf. Aus lauter Schreck habe ich die Türe wieder zugezogen und wir standen wie versteinert vor der Tür. Nichts rührte sich. „Vielleicht ist gar niemand drin“ flüstert Edda und macht die Türe wieder ganz langsam auf. Auf den ersten Blick konnten wir nur ein gemachtes Bett sehen. Edda steckte langsam ihren Kopf hinein, kam zurück und flüsterte immer noch „da ist niemand drin“. Dann ging alles ganz schnell. Ein kurzer Blick der Zustimmung und wir waren beide drin und die Türe hinter uns zu. Links von uns war das Badezimmer. Wir haben kurz überlegt ob wir nach einander duschen, uns dann aber doch für eine gemeinsame Dusche entschieden, weil es schneller geht und wir uns gegenseitig den Rücken einseifen konnten. Gerade als wir beide ausgezogen waren hörten wir wie jemand den Knopf an der Zimmertüre drehte. Wir schnappten unsere Klamotten, pressten sie an uns und drückten uns hinter die offene Badetüre. Damals waren wir noch schön schlank, so das wir beide hinter der Türe Platz hatten. Wir hielten unseren Atem an und hörten die Schritte wie sie durch Zimmer gingen in Richtung Badezimmer. Jemand kam direkt ins Badezimmer, legte ein paar Badetücher ab und verschwand wieder, ohne hinter die Tür zu sehen. Warum sollte sie auch, sie konnte ja nicht wissen, dass zwei bibbernde und nackte Wanderer und Abenteurer dahinter stehen. Um die Badetücher waren wir froh, denn in unserer Aufregung hatten wir das fehlen der Badetücher gar nicht bemerkt. 
Ich würde heute noch den Duft der Badeseife erkennen.

Dies ist also der Grund weshalb wir bei dem scheusslichen Wetter in den Yellowstone gefahren sind. „Zimmer 218 ist leider nicht frei“ sagt die freundliche Dame am Empfang. Ich erzähle ihr, dass wir vor über dreißig Jahren schon mal in Zimmer 218 waren. Alles Andere lasse ich natürlich aus. Trotzdem, Zimmer 218 bleibt belegt. „Gut, dann nehmen wir halt ein anderes“ sagt Edda ein wenig traurig. „Es tut mir leid, aber wir haben gar kein Zimmer frei“ erwidert die junge nette freundliche Dame. Ganz traurig sind wir darüber allerdings nicht, denn der, in unserer Erinnerung, leere große ruhige Raum mit dem großen Feuer in der Mitte gleicht eher einer großen lauten Bahnhofshalle und ein Feuer brennt auch nicht.
Wir haben noch eine halbe Stunden Zeit bis der große Geyser spuckt und es ist Zeit für den Lunch. Im Restaurant, das Essen war mittelmässig, der Preis allerdings auch nur, sehe ich wie der Herr am Nebentisch die Zimmernummer auf die Rechnung schreibt und geht. Da steigt bei mir die Abenteuerlust hoch. Ein bisschen von der Spannung die wir damals erlebten, noch einmal spüren. Wenn sie uns schon nicht hier übernachten lassen... Die Rechnung kommt wie immer automatisch. Ich schreibe 218 drauf, stehe auf und gehe. Edda ganz erschrocken „was machst Du den da“ greift sich die Rechnung und stellt sich damit an der Kasse an. 

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